Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit

Seine Theorie und sein Medien- bzw. Kunstbegriff basieren auf der Theorie von Marx. Dessen Basis-Überbau-Theorem benutzt Benjamin als Grundlage seines Denkens. Das heißt, die Basis, also die Gesamtheit der Produktionsverhältnisse, bedingt den Überbau, der wiederum spiegelt die Basis wider. Der Überbau reagiert allerdings nur langsam auf Veränderungen in der Basis.

Walter Benjamin beschreibt in seinem Aufsatz, wie die neuen, technischen Medien die Kunst verändern. Dabei geht er vor allem auf die Fotografie und den Film ein. Die Reproduzierbarkeit, die diese Medien ermöglichen nehmen dem Kunstwerk seine Originalität, seine Einmaligkeit, seine Echtheit. Die perfekte technische Reproduzierbarkeit ist daher so revolutionär, da in der Vergangenheit die Kopien meist als solche erkennbar waren und sie auch nicht so massenhaft herstellbar waren wie es die technischen Mittel im 20. Jahrhundert erlauben. Dabei haben die Kopien eine eigene Qualität und greifen somit die Autorität des Originals selbst an. Ein Beispiel ist die Vergrößerung bei der Fotografie, die Details hervorhebt, die vorher so nicht sichtbar waren. Es gibt aber nun auch die Möglichkeit, das dass Kunstwerk in Form der Kopie dem Rezipienten entgegenkommt. Das Originelle Kunstwerk ist an einen Ort gebunden, die technisch reproduzierte Kopie kann überall rezipiert werden. Damit wird laut Benjamin die Ort- und Zeitgebundenheit des Originals entwertet (vgl. Benjamin, S. 166).

Kunst ist für Benjamin immer an Tradition und an Rituale gebunden. Ursprünglich waren Kunstgegenstände auch Kultgegenstände. Also Gegenstände religiöser Rituale. Im Laufe der Zeit erfolgte zwar eine Säkularisierung, doch die Geschichte und Tradition der Kunstwerke wirkt auch weiterhin. Sie haben daher auch immer noch einen Kultwert. Dieser Kultwert macht auch die Aura aus. Diese Aura beschreibt Walter Benjamin, als eine Art Unnahbarkeit (vgl. Benjamin, S. 169f). Diese Unnahbarkeit wird durch die technische und massenhafte Reproduktion zerstört. Das Kunstwerk dient keinem kultischen Zweck mehr, sondern der eigenen Reproduktion. Anstelle des Kultwertes tritt der „Ausstellungswert“. Als Beispiel führt Benjamin die Portraitfotografie an. Diese dient dem Kult der Erinnerung. Sobald aber keine Menschen, sondern ein Gegenstand oder anderes fotografiert wird, tritt wieder der reine Ausstellungswert in den Vordergrund (vgl. Benjamin, S. 172f).

Für den Film sieht Benjamin auch starke Veränderungen gegenüber dem Theater. So ist der Filmschauspieler nicht mehr in der Lage direkt mit dem Publikum zu kommunizieren. Seine Leistung wird bewertet, als eine Auswahl von verschiedenen Einstellungen, die nachträglich von anderen Personen bestimmt wird. Die Apparatur des Projektors führt hier die Leistung des Schauspielers vor und nicht mehr der Schauspieler selbst (vgl. Benjamin, S. 174f). Dies wiederum zerstört die Aura, worauf die Filmindustrie mit dem laut Benjamin künstlich geförderten Starkultes reagiert, der den Warencharakter des Films verschleiern soll (vgl. Benjamin, S. 177). Dabei sieht er es auch positiv und vergleicht die Möglichkeiten des Films mit der Ausbreitung der Presse, mit der eine Partizipation stattfand und Leser zu Schreibenden wurde. So sieht er auch das Potential des Films, dass mehr Menschen zu filmenden bzw. zu gefilmten werden (vgl. Benjamin, S. 178).

Durch den Film verändert sich auch die Wahrnehmung von Kunst in der Gesellschaft.
Die kollektive Rezeptionsweise des Films bewirkt eine soziale Kontrolle, die verschiedene Meinungen verhindert und homogene Reaktionen auslöst. Als Gegenbeispiel führt er das Gemälde an, dass nur von Einzelnen oder Wenigen betrachtet wird. Hier können verschiedene Meinungen entstehen (vgl. Benjamin, S. 180f).

Walter Benjamin argumentiert in seinem Aufsatz mit dem klassischen Gegensatz von Kunst und neuen Medien. Das sehe ich insofern als problematisch an, da hier auch immer eine Bewertung der Qualität eines Mediums impliziert ist. Danach wird ein Medium, zumindest von Kritikern, erst als „wertvoll“ anerkannt, wenn es als Kunst angesehen wird Inhalte dafür zu schaffen. Seine Begrifflichkeiten sind einerseits recht schwammig und wissenschaftlich eigentlich nicht gut verwertbar. Andererseits finde ich seine Beschreibung der Aura eines Kunstwerkes und seine Einzigartigkeit in Zeit und Raum schon treffend. Jedoch kann ich seine Auffassung, das dass Kunstwerk durch seine technische und massenhafte Reproduzierbarkeit eben dieser Aura beraubt wird und damit entwertet wird nicht teilen. Denn dann würde heute, in einer Zeit wo durch die digitale Kopie die Möglichkeit einer wirklich perfekten Kopie gegeben ist, das Original wirklich überhaupt nichts mehr wert sein. Dies ist sicher in manchen Bereichen der Fall, doch steigert meiner Meinung nach die leichte Reproduzierbarkeit den Wert des Originals. Denn das Original kann nicht jeder haben. Das Original kostet Geld. In der Malerei sogar so viel, dass es sich teilweise nur gut betuchte kaufen können. Im Falle des Films, kann sich natürlich niemand eine originale Filmrolle kaufen, doch ist es schon ein Unterschied ob man eine selbst gebrannte DVD herstellt oder die „Original“ kauft. Wobei man im Falle des Films schlecht von Original und Kopie reden kann. Denn im Normalfall sehen selbst die Kinozuschauer nur eine Kopie der Originalrolle. Da ist vielleicht die englische Bezeichnung „copy“ präziser, wenn man von Filmen auf DVD oder Musik auf CD spricht. Bei der Fotografie spricht Benjamin ja noch von einem Kultwert sofern es sich um Portraitfotos handelt. Diese würden dem Kult des Erinnerns dienen. Für professionelle Fotografien mag das sicher zutreffen, sofern sie im Auftrag und für Privatpersonen gemacht werden, da andere Fotos meist zum Zweck der Ausstellung oder Verkaufs an Verlage gemacht werden. Für die Privatfotografie gilt dies aber sicher nicht. Der Amateur fotografiert ja meist zum Zweck der Erinnerung. Er will spezielle Momente einfangen und sich bei späterer Betrachtung der Bilder wieder daran erinnern. Ein Foto eines Haustieres beispielsweise kann auch der Erinnerung dienen und somit einen Kultwert, wie Benjamin ihn beschreibt, haben. Zu der Zeit wo er diesen Aufsatz schrieb, war die Verbreitung von Fotoapparaten schon weit fortgeschritten. Da er aber von der Kunst ausgeht, wird er sicher nicht an Amateure gedacht haben.

Ein Anderer Kritikpunkt wäre noch die unbedingte Zeit und Ortsgebundenheit. Danach würde eine Liveübertragung eines Ereignisses im Radio oder Fernsehen kein Original in Benjamins Sinne sein. Obwohl es zumindest in meiner Meinung nach eine Gewisse Einmaligkeit hat. Auch wenn man die Sendung heutzutage aufnehmen könnte und sie sich später anschauen oder anhören könnte. Das Gefühl dabei gewesen zu sein ist bei der Kopie, die zeitversetzt rezipiert wird nicht mehr vorhanden. Bei Anwesenheit bei der ersten Übertragung ist dieses Gefühl sehr wohl vorhanden. Somit gibt es auch in den technischen Medien Originale die allerdings im Gegensatz zu einem Bild, dessen Original man sich in einem Museum immer wieder ansehen kann, so einzigartig in Zeit und Raum sind, dass sie nur einmal zum Zeitpunkt ihrer Entstehung als Original existieren.

Richtig ist sicherlich seine Einschätzung, dass durch die massenhafte Verbreitung von Kunst(kopien) die Kunst an sich näher an die Masse herangebracht wird. Doch der Zugang zu bildenden Künsten ist nicht nur monetär sondern auch durch Hintergrundwissen beschränkt. Ein Werk von Picasso wird niemals so leicht zugänglich und verstehbar sein, wie eine Landschaftsfotografie. Insofern sehe ich keine dramatische Entwertung der Kunst und des Originals durch die massenhafte Kopiermöglichkeit.

Literatur

Benjamin, Walter (1936): Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Helmes, Günter/Köster, Werner (Hrsg.): Texte zur Medientheorie. Stuttgart: Reclam 2002. S. 163-190.
Kloock, Daniela; Spahr, Angela: Medientheorien. Eine Einführung. München: Fink 1997. S. 13-38.

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4 Antworten zu Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit

  1. René sagt:

    Und wenn man Massenheftchen hat, dann hat die Erstausgabe oder eine mit Handsignierung auch wieder eine Aura.

  2. bebbi sagt:

    Zitat „Ursprünglich waren Kunstgegenstände auch Kultgegenstände. Also Gegenstände religiöser Rituale.“

    Archälogen machen alles, was nicht eindeutig ist zu einem Kultgegenstand/religiösen Gegenstand oder Phallus-Symbol. Warum können Funde nicht auch einfach aus ästhetischen Gründen erstellt worden sein damals? Das Denken der Archälogenzunft etc. ist noch viel zu sehr vom ÜBerelgenheitsgefühl gegenüber früheren Menschheitsgenerationen beeinflusst.

  3. bebbi sagt:

    „Ein Werk von Picasso wird niemals so leicht zugänglich und verstehbar sein, wie eine Landschaftsfotografie. “

    Das sit mir ein zu elitäres, exkludierendes Kunstverständnis in der Tradition des Bürgertums, in dem es eine dogmatisch legitime Rezeptionsweise gibt, die technisch-formal orientiert ist. Aber jeder kann Kunst auf sich wirken lassen und wahrnehmen.

  4. Soziobloge sagt:

    Ja sicher ist es das. Das selbe Verständnis haben auch Adorno und Horckheimer. Die klassische Kunst ist immer höher zu bewerten als die schnöde Massenunterhaltung. Sie sehen ja die „wahre“ Kunst bedroht und zur Ware werden.

    Zur Kunst und Bürgergesellschaft sollte man Bourdieu lesen, der ja auch gerade die Kunst als einen Indikator und eine Methode der Abgrenzung sieht.

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