Institutionalisierung, Internationalisierung und die Auswirkungen auf den Lebenslauf Teil V

Hier nun das Fazit und die gesamte Literaturliste dieser kleinen Serie.

Mayers und Müllers Ansatz, den Staat in die Lebenslaufforschung einzubeziehen ist ein guter Versuch, mehr Einflussfaktoren einzubeziehen. Die Frage ist nur, ob er in seinem Konzept den Staat nicht überbewertet. Kritisch ist hier das Argument der funktionellen Rationalität. Eine blinde Ausrichtung an staatlichen Leistungen, die zum eigenen Ziel werden, kommt eher selten vor. Zwar mag beispielsweise die inzwischen abgeschaffte Wohnungsbauprämie eine Entscheidung zugunsten eines Hauskaufs beeinflusst haben. Sie ist aber nicht als alleinige Ursache zu sehen, und schon gar nicht als Ziel, das Haus zu bauen um die Förderung zu bekommen, zumal in diesem Fall die eigenen Kosten dafür immens hoch sind. Der Fall, den Mayer und Müller hier beschreiben wird also eher bei Leistungen vorkommen, die mit niedrigen eigenen Kosten zu bekommen sind. Für jemanden, der keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt für sich sieht, wird vielleicht sein Leben danach ausrichten, Arbeitslosengeld II zu bekommen und sich an das System entsprechend anpassen.

Die Frage ist, ob die Menschen sich in ihrer Lebensplanung an staatlichen Systemen orientieren und sie danach ausrichten, oder ob sie einfach ihren eigenen Plan verfolgen und die staatlichen Leistungssysteme als „Notfallsysteme“ ansehen, die einspringen, wenn etwas schief läuft.

Ebenso fragwürdig ist das Konzept der Dienstklasse. Wobei hier eher die Definition ein Problem darstellt. Durch die weite Begriffsfassung, die eine hohe Fluktuation der Mitglieder beinhaltet, wird der Begriff Analyseeinheit unbrauchbar. Der Einfluss des Staates auf die verschiedenen Gruppen in dieser Klasse ist zu unterschiedlich. Hier bedarf es einer starken Verbesserung.

Für sich alleine gesehen, wird der Einfluss des Staates, meiner Meinung nach, überbewertet. Aber in Kombination mit anderen Ansätzen, die den Staat unberücksichtigt lassen, bietet sich eine gute Chance, die verschiedenen Einflussfaktoren in Relation zu setzen und dabei diese Lücke zu schließen. Ebenso brechen Mayer und Müller die strikte Dreiteilung des an der Erwerbsarbeit ausgerichteten Lebensverlaufskonzepts von Kohli auf.

Martin Kohli legt in seiner Theorie des Lebenslaufs den Fokus auf die Zeit. Für ihn ist der Lebenslauf auf dem Alter als zentrale Struktur aufgebaut. Dabei spielte die Befreiung der Menschen aus ihren ständischen Bindungen durch die Modernisierung, sowie die Organisation der Erwerbsarbeit eine Rolle. Also die Dreiteilung des Lebenslaufs in Ausbildung – Erwerbsarbeit – Rentenstatus (vgl. Kohli, 2f). Der Staat kommt hier durch die staatlichen Leistungssysteme Rentenversicherung und Bildung ins Spiel. Dem Individuum wird durch die Chronologisierung des Lebens eine methodische Lebensplanung ermöglicht (vgl. Kohli, 14f). Der Lebenslauf wird zu einer eigenen sozialen Institution, die dem Individuum Orientierung bietet, aber auch seine Handlungsmöglichkeiten einschränkt (vgl. Kohli, 19f). Die Chronologisierung hat allerdings auch den Effekt, dass das Indivuum nun einen Konflikt zwischen den wirtschaftlichen und den familialen Zeitstrukturen regeln muss (vgl. Kohli, 16f).

Kohli sieht allerdings den Prozess der Chronologisierung gestoppt, wenn nicht gar umgekehrt. Als Indizien dafür führt er die Veränderung des Famlienzyklus und die Flexibilisierung der Arbeitszeit an (vgl. Kohli, 22f).

Das mehr auf das Individuum als Entscheidungsträger ausgelegte Konzept von Kohli könnte hier den nötigen Ausgleich gegenüber dem doch sehr starken staatlichen Einfluss bei Mayer und Müller schaffen.

Wenn man den Staat als einen Einflussfaktor auf den Lebenslauf einbezieht, so sollte man nicht außer Acht lassen, dass die Staaten wiederum beeinflusst werden.
Über die beschriebenen Mechanismen nehmen internationale Institutionen einen großen Einfluss auf den Lebenslauf der Menschen. Gerader der Bildungssektor ist heutzutage ein wichtiges Feld zur Qualifikation für den Arbeitsmarkt. Dort werden gerade in Deutschland wichtige Weichen für den weiteren Verlauf eines Lebens gestellt.

Der von Martens und Weymann beschriebene Prozess der Isomorphie betrifft vor allem den Hochschulbereich. Hier hat man ein standardisiertes System geschaffen. Wenn auch in der Praxis die Ziele bisher nicht erreicht wurden, so sieht man doch am Beispiel Deutschland die Auswirkungen, wie die Umstellung der Studiengänge auf das Bachelor/Master System und je nach Bundesland eine größere Autonomie der Hochschulen. In der Primär- und Sekundarstufe allerdings herrscht noch eine große Polymorphie zwischen den Bundesländern, trotz der PISA Tests der OECD. Zwar mag es die ein oder andere Veränderung im Rahmen der Lehrpläne gegeben haben, aber von einem einheitlichen System ist man noch weit entfernt. Meyer und Ramirez weisen selbst darauf hin: „[…] die Standardisierung der Bildung ist ein Prozess des Ausschneidens und Einfügens, bei dem aber die Frage, was genau ausgeschnitten und wie es wieder eingefügt wird, verschieden beantwortet werden kann“ (Meyer/Ramirez, 230). Wie die konkrete Gestaltung der Übernahme von fremden Modellen aussieht, kommt also auch auf die nationalen Umstände an. Bei der Betrachtung der Institutionen müssten also deren Einflussmöglichkeiten berücksichtigt werden. Gibt es einen genau geregelten Vertrag, oder wird einfach nur Empfehlungen gefolgt und diese dann nach eigenem Ermessen kopiert. Es hängt aber auch vom Prozess selbst ab. Im Falle des Bologna-Prozesses wurde das Ziel, die Veränderung der Hochschulbildung, von den Staaten beschlossen. Im Falle der OECD und der PISA Tests war das Ziel der Veränderung nicht so klar international abgestimmt. Die OECD gilt zwar als Experte auf dem Gebiet, doch scheinen sich die nationalen Widerstände hier leichter durchzusetzen. Wenn der Einfluss durch eine Organisation gänzlich von Außen kommt, wie bei der OECD, so kommt es zu diesem besagten Ausschneiden und Einfügen. Wobei der lokale Kontext zu berücksichtigen ist. Was übernommen wird, entscheiden die lokalen Akteure. Mit der Konsequenz, dass es keine Isomorphie, sondern Polymorphie gibt. Dies wäre nach der Theorie des Skandinavischen Institutionalismus ein Fall von Translation (vgl. Becker-Ritterspach/Becker-Ritterspach, 113).

Man könnte aber auch annehmen, dass der Prozess nur viel langsamer verläuft und in der Zukunft irgendwann einmal zu einer Isomorphie führen wird.

Das Ergebnis der Prozesse ist noch nicht klar. Es könnte zu mehr Isomorphie führen, aber auch zu einer Polymorphie. Weitere Beobachtung ist also notwendig um die Mechanismen besser verstehen zu können. Hier ist natürlich das Problem, dass die Prozesse Jahre dauern können, bis man das vermeintliche Endergebnis sehen kann. Martens und Wolf sehen auch schon erste Anzeichen für Versuche der Umkehrung des Machtverlustes des Staates im Bildungssektor (vgl. Martens/Wolf, 161f). Aber man kann damit immerhin erklären, wie es zu dem beobachteten Phänomen gekommen ist. Hier ist entscheidend, dass die Organisationen auch als eigenständige Akteure wahr genommem werden, die nicht nur blind nach entsprechendem Input handeln, sondern selbst agieren können.

Eine Berücksichtigung des institutionellen Rahmens ist auf jeden Fall anzuraten. Der Einfluss mag innerhalb des Lebensverlaufs variieren, doch der Einfluss durch den Staat oder Institutionen ist, je nach dem in welchem Feld sich ein Individuum bewegt, unbestreitbar. Zudem legt der Staat in relativ großem Umfang die Möglichkeiten fest, die das Individuum hat, beispielsweise bei der Gestaltung des Bildungsystems. Eine Verbindung der Theorie von Mayer und Müller mit dem Ansatz von Kohli, sowie dem Neo-Insititutionalismus, könnte hier zum Einen Erklärungsansätze zum individuellen Lebensverlauf und die Einflüsse darauf liefern, und zum Anderen die übergeordnete Ebene der internationalen Organisationen und deren Einfluss auf die Staaten beschreiben.

 

Literatur

Becker-Ritterspach, F. A. A. / Becker-Ritterspach, J. C. E. (2006): Isomorphie und Entkoppelung im Neo-Institutionalismus. In Senge, K. / Hellmann, K-U.[Hrsg]: Einführung in den Neo-Institutionalismus. Wiesebaden, VS Verlag.
Hasse, R./Krücken, G. (2005): Neo-Institutionalismus. Bielefeld, transcript Verlag.
Kohli, M. (1985): Die Institutionalisierung des Lebenslaufs. Historische Befunde und theoretische Argumente. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 37, S. 1-29.
Martens, K./Weymann,.A. (2008): Die Internationalisierung der Bildungspolitik: Konvergenz nationaler Pfade? In: Hurrelmann, A. u.a.: Zerfasert der Nationalstaat? Die Internationalisierung politischer Verantwortung. Frankfurt/New York, Campus.
Martens, K / Wolf K. D.: Paradoxien der Neuen Staatsräson: Die Internationalisierung der Bildungspolitik in der EU und der OECD. In: Zeitschrift für internationale Beziehungen 13, 2, S. 145 – 176.
Mayer, K.U./ Müller W. (1989): Lebensverläufe im Wohlfahrtsstaat. In: Weymann, A. (Hrsg.), Handlungsspielräume. Untersuchungen zur Individualisierung und Institutionalisierung von Lebensläufen in der Moderne. Stuttgart, Enke, S. 41-60.
Meyer, J. W. / Ramirez, F.O. (2005): Die globale Institutionalisierung der Bildung. In: Meyer, J. W. Mit Krücken G. [Hrsg.]: Weltkultur: Wie die westlichen prinzipien die Welt durchdringen, Frankfurt a.M., S.212-234.

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Eine Antwort zu Institutionalisierung, Internationalisierung und die Auswirkungen auf den Lebenslauf Teil V

  1. Sonntagssoziologe sagt:

    Das Volk kennt alles das auch, nur halt in kompaktere Worte gepackt http://www.youtube.com/watch?v=dUEhe_ErRbM

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