Kompetenzen und Berufswahl

Dies sollte eigentlich ein Kommentar bei der Frau Vrouwelin werden. Wurde dann aber doch zu lang. Daher hier als eigenen Blogpost, der recht spontan entstanden ist und als weitere Diskussionsgrundlage dienen kann.

Die Ergebnisse meiner Forschung zum Übergang von Schule in die Berufsausbildung zeigen auch deutlich, dass man mit einem Hauptschulabschluss kaum eine Chance hat einen Ausbildungsplatz zu finden. Einzig ein Praktikum bietet eine realistische Chance, da dadurch Handlungskompetenz „bewiesen“ werden kann und somit Vorurteile überwunden werden können. Auch wenn Frau Prof. Meyer nicht viel von einem Praktikum hält, so sehe ich es doch als einzig halbwegs realistische Form der Information über einen Beruf an. Man kann zwar die Probezeit nutzen, doch wenn sich die Wahl als falsch herausstellt, so verliert man doch meist ein ganzes Jahr und muss dann bei der nächsten Bewerbung auch noch erklären, warum man denn die erste Ausbildung abgebrochen hat. Sofern man gekündigt wurde, wird es sicher nicht einfacher.

Vielleicht noch kurz zum Begriff der Kompetenz. Ich habe jetzt mal bewusst nicht nachgeschlagen, wie die soziologische Definition lautet. Für mich ist Kompetenz, die Fähigkeit Wissen passend zu einer bestimmten Situation anzuwenden und auch auf neue Situationen angemessen zu analysieren und zu bewältigen. Diese Definition ist sicher lückenhaft. Was ich damit sagen möchte, ist, dass aus meiner Erfahrung die Fähigkeit eine Situation oder ein Problem mit Hilfe von vorhandenem Wissen und durch Auseinandersetzung mit der Situation erworbenem Wissen, diese zu Situation oder das Problem zu lösen, das wichtigste ist. Nicht nur im Beruf. Um es auf eine kurze Formel zu bringen, könnte man sagen, statt „ich kann das nicht“ sagt man „ich kann das NOCH nicht“.
Was ich besonders gut im Podcast fand, war, dass der Begriff „Ausbildungsreife“, die ja heutzutage den meisten Jugendlichen Abgesprochen wird, jedenfalls könnte man aufgrund der Berichterstattung zu diesem Eindruck gelangen, als politischer Kampfbegriff entlarvt wird. Der Begriff passt natürlich zu einer Kulturpessimistischen Grundhaltung, die weit verbreitet ist. Schon die alten Griechen sahen in der „heutigen“ Jugend den Untergang der Zivilisation kommen. Sogar schon Comics in der Schule werden gefordert, weil niemand mehr lesen und schreiben kann. Das ist natürlich totaler Quatsch. Es gibt und gab schon immer rund 10% eines Jahrgangs die keinen Schulabschluss erlangten und nur einfache Berufe erlernen konnten. Das Problem ist eher, dass einfache Tätigkeiten eher seltener geworden sind und die Anforderungen insgesamt gestiegen sind. Auch wenn immer gesagt wird, dass früher alles schwerer war. Die Ausbildungsneigung von Firmen in Deutschland ist auch nicht gerade gestiegen in den letzten Jahren. Der Trend geht eher dazu, Ausbildung an andere Institutionen abzugeben und nur noch fertig Ausgebildete Leute anzustellen. Wenn ich halt einen Auszubildenden haben möchte, der schon am ersten Tag die Abschlussprüfung schafft und auch sonst keinerlei Ausbildung benötigt, dann ist die Jammerei über mangelnde Ausbildungsfähigkeit natürlich nicht verwunderlich, geht aber an der Realität vorbei. Die Frage ist natürlich auch, wie sowas überhaupt gemessen wird. Wenn ich an die ganzen Einstellungstests bei meiner ersten Suche nach einer Berufsausbildung denke, so waren die Ergebnisse höchst unterschiedlich. Mal bin ich total durchgerasselt. Einmal waren meine mathematischen Fähigkeiten nicht gut genug, ein andermal wurde ich gerade für diese gelobt. Wie man sieht hängt es, wie im Podcast auch schon erwähnt auch davon ab, ob man eine Gelegenheit zum Zeigen seiner Kompetenzen bekommt und ob die Umstände und Testmethoden gerade passen.

Zum Thema Planbarkeit und begründeter Auswahl von Berufen, sollte man wissen, dass der Berufswunsch stark durch das Umfeld und die Möglichkeiten die sich durch den erreichten Bildungsabschluss bieten beeinflusst wird (vgl. Faktoren der Berufswahl).
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es durchaus schwierig ist. Ich habe Anfang der 90er Jahre eine Berufsausbildung im Einzelhandel gemacht. Damals war die Welt dort noch relativ in Ordnung. Doch spätestens Mitte des Jahrzehnts ging es immer mehr bergab. Heutzutage würde ich niemandem mehr empfehlen dort eine Ausbildung zu machen. Gut, das Urteil ist subjektiv, wenn es Spaß macht, ist das ja durchaus auch ein legitimer Wunsch. Ich erinnere mich noch an ein Telefonat mit der Arbeitsagentur, in dem ich nach Möglichkeiten von Umschulung oder anderen Alternativen fragte. Nachdem ich meinen damaligen Beruf genannt habe kam die Antwort „da haben sie ja einen Zukunftssicheren Job“. Ich wusste schon damals, dass dies nicht der Fall ist. Als ich nach dem Abitur auf dem 2. Bildungsweg wegen einer Zwangspause vor dem Studium bei der Arbeitsagentur war, hieß es, „Sie wissen ja wie es in ihrer Branche aussieht. Ich habe nichts für Sie und werde wohl auch nichts in Zukunft für Sie haben“. Wie man sieht, sind die Aussagen recht konträr.

Zum Schluss noch etwas zum Thema, erst eine berufliche Ausbildung und dann ein Studium. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, es hat seine Vor- aber auch seine Nachteile. Der Vorteil ist, man hat einen ganz anderen Blick auf das was an der Uni vermittelt wird. Bisweilen lacht man sich auch über die extra als Berufsrelevant gekennzeichneten Kurse schlapp. Allerdings kann das auch zu einem gewissen Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines Studiums führen. Zumindest wenn man nicht gerade ein technisches Studium macht und dazu noch aus einer Bildungsfernen Schicht kommt. Wie Vrouwelin in ihrem Podcast schon richtig feststellt ist das Fördersystem nicht auf späteres Studieren ausgelegt. Altersgrenzen und diverse Fallstricke wie Kindergeld und Krankenversicherung, sowie die Aufteilung des Studiums in Bachelor und Master und der damit verbundenen realitätsfremden Bafögregelung können schonmal, zu Problemen führen. Um Bafög fürs Masterstudium zu bekommen, musste ich beispielsweise erste klagen. Man fällt also andauernd durchs Raster. Wenn man dann hört, dass man mit dem Bachelor ja einen berufsqualifizierenden Abschluss habe und keinen Master mehr brauche, bleibt einem dann doch eher das Lachen im Halse stecken. Vor allem, wenn man gerade durch ein Praktikum festgestellt hat, dass man eben nicht die nötigen Kompetenzen dafür erworben hat und ein passendes Masterstudium zwingend notwendig ist. Zum Glück hat es ja dann doch noch geklappt und wie sich herausstellte hat sich das Masterstudium gelohnt. Denn es wurden eben genau die Kompetenzen vermittelt, die ich dann später in meinem ersten Job gut gebrauchen konnte und auch heute noch nutzen kann. Daneben ist es natürlich auch die Frage, ob man einen Job, den man erstmal sicher hat für eine unsichere Zukunft mit einem Studium aufgibt. Man verzichtet für lange Jahre auf Einkommen und hat eher sogar noch Schulden danach. Wenn dann noch die Familienplanung dazu kommt überlegt man sich das vielleicht doch lieber zweimal. Außerdem steht man bei der Jobsuche in Konkurrenz zu Leuten die 10 Jahre Jünger sind. Das mag zwar objektiv gesehen kein Hindernis sein, man hat ja deutlich mehr Erfahrung auch im „realen“ Berufsleben, was Personaler daraus machen ist allerdings auch wieder eine andere Sache. Genaueres dazu werde ich in einem extra Post schreiben. Ich lese gerade ein Buch zum Thema Bildungsaufstieg und den damit verbundenen Herausforderungen.

Soweit erstmal meine Gedanken dazu.

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3 Antworten zu Kompetenzen und Berufswahl

  1. Vrouwelin sagt:

    Danke für deinen ausführlichen Bericht über die erste Folge, grad über den Übergang Hauptschule-Beruf und das Stigma, welches eine abgebrochene Ausbildung mit sich bringt habe ich noch viel nachgedacht, aber noch keinen logischen Schluss finden können.
    Alles was man formal fordern würde, zerschellt an den informellen Strukturen der Bewertung innerhalb des Betriebes.

    • Szblg sagt:

      Ja, da hast du vollkommen Recht. Es gibt zwar einige Korrekturmöglichkeiten für vorangegangene Fehlentscheidungen in der Schul- und Berufsbildung, aber man sollte nicht unterschätzen, dass es einen gesellschaftlich anerkannten Normlebenslauf gibt. Weicht man davon ab, ist man schon stigmatisiert. Ich werde da mal was zu schreiben. Hier mein Artikel über Lebensverlaufsforschung. Sehr interessantes Feld. Wer vom „Normallebensverlauf“ abweicht, der muss mit Widerständen rechnen. Leider wird bei uns in Deutschland ja Scheitern, oder auch einfache Umentscheidung, weil man gemerkt hat, das ist nichts für mich, immer noch als schlecht angesehen.

  2. Erschwerend kommt hinzu, dass an Arbeitnehmern neben einem geradlinigen Lebenslauf der Wunsch nach beruflicher Flexibilität herangetragen wird. Vermutlich herrschen auch bei Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Arbeitsagenturen unterschiedliche Flexibilitätsbegriffe vor. Für das Amt soll der Arbeitssuchende flexibel genug sein, alles anzunehmen, was ihn aus der Statistik bringt, egal, ob das den Lebenslauf umwirft. Der Arbeitgeber versteht unter Flexibilität eine Mobilität innerhalb von festen Berufsgrenzen, eine Vertikal-, aber keine Horizontalflexibilität.

    Insgesamt sollten sich die ganzen Probleme demographisch gegen 2025 langsam legen. Solange die Auswahl an Arbeitskräften groß ist, nimmt das Unternehmen nutzenrational denjenigen mit den größten Kompetenzen für diese eine Stelle. Warum auch nicht? Die Gefahr eines erneuten Umbruchs ist dann einfach geringer. Später wird man sich daran gewöhnen, dass sich Leute umentscheiden. Die Umentscheidung wird dann auch eher auf Interesse basieren denn auf Marktzwängen.

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