Der Bildungserfolg, das Schulsystem und die Lehrer

Der zweite Teil der Reihe Probleme im Bildungssystem beschäftigt sich mit dem System Schule an sich und den Lehrern.

Ich betrachte in diesem Beitrag den Einfluss von Lehrern und des Schulsystems auf den Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I. Denn dieser Übergang ist im deutschen Schulsystem von grundlegender Bedeutung und eine Entscheidung an dieser Schwelle kann später nur mit größter Mühe, wenn überhaupt geändert werden. Zumindest was den Weg in eine höhere Schulform angeht. Einfacher und schneller geht es eher nach unten.

Hartmut Ditton hat dazu eine einen Aufsatz verfasst mit Ergebnissen diverser Studien.

Lehrer kann man als Gatekeeper im Schulsystem auffassen. Aufgrund ihrer Bewertung, werden Schüler in unterschiedliche Kategorien eingeteilt und somit von Anfang an auch Weichen für die Zukunft gestellt. Nach dem Leistungsprinzip, das in Schulen theoretisch gelten sollte, sollten Lehrer möglichst neutral urteilen und die Leistungen ihrer Schüler unabhängig von anderen Einflüssen bewerten. Dass dem nicht immer so ist, hat schon 1965 Weiss festgestellt. Lehrer bewerten, je nach Vorinformation über den sozialen Hintergrund der Schüler, dieselbe Klassenarbeit unterschiedlich. Schüler aus den unteren Schichten wurden systematisch schlechter benotet (vgl. Ditton, 254) .

Beim Übergang von der Grundschule auf die Sekundarstufe I müssen Lehrer das Leistungspotential des jeweiligen Schülers einschätzen. Dazu kommt noch die Möglichkeit der Eltern auf mögliche Probleme zu reagieren. Beispielsweise mit Nachhilfeunterricht. Da dies bei Eltern niedrigerer sozialer Herkunft meist weniger gut möglich ist, sinken die Chancen des Kindes auf eine Empfehlung für höhere Schulformen. Das Schulsystem wiederum verlangt, dass die Schulen entsprechend ausgelastet sind (vgl. Ditton, 256). Sollte es also Probleme geben, eine Hauptschule mit genügend Schülern zu versorgen, so könnten die Lehrer hier entsprechend „nachhelfen“.  Der Fall der bayrischen Lehrerin, die Strafversetzt wurde, weil ihre Schüler zu gut waren, ist ein gutes Beispiel dafür. Wäre dies in allen Klassen so gewesen, so wäre das dreigliedrige Schulsystem in Frage gestellt worden. Abgesehen davon, darf der Andrang nach höheren Bildungstiteln nicht zu groß sein, da diese sonst an Wert verlieren. Nach Bourdieu ist dies eine Gefahr für die Oberschicht, die hohe Investitionen an Zeit und Geld für den Statuserhalt durch Bildung tätigen muss.

Dies wird allerdings nicht bewusst gemacht, sondern wird durch die Strukturen des Bildungssystems praktisch weitergegeben. Erst die Antwort des Vorgesetzten stellte dies einmal explizit dar, was sonst nur implizit vorhanden ist und latent in allen Entscheidungen mitschwingt, dass das Schulsystem nicht nur Bildung vermittelt, sondern auch eine Filterfunktion hat. Dazu kommt, dass die Kriterien für eine Schulempfehlung nicht wirklich klar sind (vgl. Ditton, 257f).

Um eine Empfehlung für das Gymnasium zu bekommen, müssen Kinder deren Eltern niedrigere Schulabschlüsse haben, signifikant höhere Leistungen erbringen (vgl. Ditton, 263).

Betina Hollstein hat dazu eine qualitative Studie durchgeführt, um herauszufinden wie es zu dieser Selektion kommt. Dazu hat sie Lehrer/-innen und Schulleiter/-innen in Berliner Grundschulen befragt. Dabei kam heraus, dass der soziale Kontext zwar kein Hauptkriterium für die Schulempfehlungen sind, doch spielt dieser bei Grenzfällen eine Rolle. Steht ein Kind auf der Kippe zwischen zwei Schulformen, so wird im Zweifel eher  die niedrigere Schulform empfohlen, wenn der soziale Hintergrund von den Lehrerkräften als problematisch empfunden wird. Dabei wird immer auf das „Kindeswohl“ verwiesen. Man möchte Leistungsdruck und Enttäuschung vermeiden.

Interessant ist das Argument, dass das Kind ja auch später noch eine höhere Schule besuchen könnte, wenn es dann doch besser ist als erwartet. Hier scheint eine Überschätzung der Durchlässigkeit des dreigliedrigen Schulsystems vorzuliegen. Abgesehen von Gesamtschulen, oder den neuen Sekundarschulen, sehe ich wenig Durchlässigkeit nach oben. Ebenso bemerkenswert ist die Rolle des sozialen Hintergrunds der Lehrer/-innen. Eigene Erfahrungen mit sozialem Aufstieg und eine Sozialisation in der DDR ließen diese bewusst auf eine Bewertung des sozialen Hintergrunds verzichten. Gerade die Erfahrung,  auch ohne Hilfe aufgestiegen zu sein, verändert die Einschätzung der Risiken und der Möglichkeiten.

In einem gut situierten Stadtteil wurde von direkten Interventionen der Eltern berichtet, die bei schlechten Noten ihrer Kinder, versuchen direkten Einfluss auf die Lehrkräfte auszuüben. Dies geht bis zu Drohungen mit Beschwerden oder Anwälten. Da überlegt man es sich vielleicht zweimal, ob man eine schlechtere Note gibt.

Aus dieser qualitativen Studie lässt sich zwar nicht über die quantitativen Anteile der verschiedenen Einflüsse ableiten, doch die Mechanismen, die grundsätzlich dabei wirken können, werden durchaus klar.

Ditton verweist zwar auf einen noch lückenhaften Forschungsstand, gerade was Längsschnittstudien betrifft, doch ist der Einfluss von Lehrern auf den Schulerfolg und den Schulverlauf der Schüler nicht unerheblich. Betina Hollstein zeigt in ihrem Beitrag die Mechanismen, die dabei eine Rolle spielen können. So wird dann im Zweifel eher kein Risiko eingegangen. So spielten bei meiner Schulempfehlung der Schulabschluss meiner Eltern, sowie die Möglichkeiten der Unterstützung eine deutliche Rolle. Obwohl ich sicher auch direkt aufs Gymnasium gekonnt hätte. Was dazu führte, dass ich erst später Abitur machen konnte und so Jahre verlor. Zwar wurde immer gesagt, ich könne ja später immernoch aufs Gymnasium wechseln, doch im Nachhinein gesehen versperrten am Ende dann trotz der formalen Qualifikation wieder soziale Barrieren diesen Weg, die dann erst später überwunden werden konnte. Mir ist auch ein Fall bekannt, wo jemand durch Quotenregelungen auf der Hauptschule landete und auch erst spät zur Uni kam.

Wenn man bedenkt, dass die Qualifikation für die gymnasiale Oberstufe, je nach Bundesland, von fast der Hälfte der Realschüler erreicht wird, so ist das meiner Ansicht nach, ein Hinweis darauf, dass eine große Zahl von Schülern auf der falschen Schule landen. Gleichzeitig stellt Hollstein fest, dass gut 80% derjenigen Schüler, die trotz Realschulempfehlung auf das Gymnasium gehen, es auch bis zum Abitur schaffen. Was mir noch fehlt, ist die Frage inwieweit die finanzielle Situation der Familie eine Rolle spielt.

Teil 1: Bildungserfolg und Migrationshintergrund

 

Literatur:

Ditton, Hartmut (2010): Der Beitrag von Schule und Lehrern zur Reproduktion von Bildungsungleichheiten. In: Rolf Becker; Wolfgang Lauterbach [Hrsg.] Bildung als Privileg – Erklärungen und Befunde zu den Ursachen der Bildungsungleichheit. Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Hollstein, Bettina (2008): Der Anteil der Lehrer an der Reproduktion sozialer Ungleichheit: Grundschulempfehlungen und soziale Selektion in verschiedenen Berliner Sozialräumen In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2. Rehberg, Karl-Siegbert (Hrsg.) S. 2605-2613. Frankfurt am Main: Campus Verlag GmbH, 2008 [Konferenzbeitrag] (PID): http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-151768

Aktualisiert am 17.6.2012

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7 Antworten zu Der Bildungserfolg, das Schulsystem und die Lehrer

  1. klaus birkelbach sagt:

    Ich habe zum Einfluss der Lehrer kürzlich einen Artikel in der Sozialen Welt veröffentlicht, den man auf der HP der Zeitschrift laden kann: http://www.soziale-welt.nomos.de/fileadmin/soziale-welt/doc/Aufsatz_SozWelt_11_03.pdf
    Eine erweiterte englische Fassung findet ihr in diesem Reader: http://www.peterlang.de/download/datasheet/63161/datenblatt_262120.pdf

    • Soziobloge sagt:

      Sehr guter Artikel. Da sieht man wieder wozu der Lebensverlaufsansatz gut ist. Man erfasst einfach wesentlich mehr Einflussfaktoren, die bei einer punktuellen Erhebung unter den Tisch fallen. Die verwendete Theorie erinnerte mich wieder an meine Master Arbeit. Darin habe ich die Wert-Erwartungstheorie und Boudon für den Zweiten Bildungsweg verwendet. Die von Ihnen verwendeten Variablen würden auch gut dazu passen. Wobei ich allerdings nicht erwarten würde, dass sich die Einschätzung der Lehrer noch darauf auswirkt. Die Leistungstests wären wiederum sehr interessant.

    • Soziobloge sagt:

      Danke für den Hinweis. Ich habe bisher noch keine Zeit gehabt, mich mit dem Artikel zu beschäftigen, werde das aber jetzt mal nachholen und eventuell noch in den Artikel einbauen.

  2. Sonntagssoziologe sagt:

    In diesem Video erklärt der Hirnforscher, Fremdeinschätzung führt zu Selbsteinschätzung und die zu Notenleistung. http://www.youtube.com/watch?v=8kDzPov4wzo

    Aber was will man für Veränderungen erwarten, wenn Schulsystem eine systemstabilisierende Funktion von Ungleichheitsstrukturen zukommt.

    • Soziobloge sagt:

      Ja das ist das eigentliche Problem. Damals im Schülerpraktikum hat mir einer aus der Firma gesagt, Gott würde jedem seinen Platz zuteilen und wenn das halt Müllmann ist, dann isses halt Müllmann und damit muss man zufrieden sein. Gut, ich habe nicht auf ihn gehört und mich dann irgendwann auf den Weg nach Oben gemacht. Ein Grund warum ich das nicht direkt gemacht habe, obwohl ich gekonnt hätte, war, dass niemand in meinem Umfeld geglaubt hat, dass ichs schaffen kann. Obwohl im Rückblick da eigentlich nie Zweifel dran hätten bestehen müssen.

      Ich habe noch eine Studie aufgetan, wo interessantes über Lehrertypen drinsteht. Werde den Artikel bald noch damit ergänzen.

      • Sonntagssoziologe sagt:

        Also Gott ist Schuld. Das wäre doch ein Ansatz, soll der Papst mal mit ihm verhandeln. die Welt ändert sich ja und auch Gottes Ansichten von früher müssen ja nicht mehr die von heute sein.

        • Soziobloge sagt:

          Naja, ich finde, das ist noch ein Überbleibsel aus der Ständegesellschaft. Da wurde ja auch die irdische Gesellschaftsordnung mit der angeblichen Ordnung im Himmelreich begründet. Die Frage ist ja, woher weiss ich, dass ich da angekommen bin wo Gott mich haben will? Was will der Picard? 😉 Die Protestanten haben dafür den Kapitalismus erfunden, bzw. weiterentwickelt, wer Erfolg hat kommt in den Himmel. Zum Glück bekommt man heutzutage nur noch an christlichen Schulen für die Antwort „Gott hat das so eingerichtet“ die volle Punktzahl.

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